“Vanitas vanitatum et omnia vanitas.” Am Anfang des biblischen Buches Kohelet steht das Ende, und so lauten auch zentrale Botschaften dieser Schrift des Alten Testaments: Vergänglichkeit trifft alles und jeden, der Mensch ist Staub und wird zu Staub zurückkehren, es gibt nichts neues unter der Sonne. Neues gibt es hingegen unter den Füßen der Studierenden im Geiwi-Turm: Die Geiwi hat einen neuen Boden.
Es fällt auf, vieles ist anders geworden. Die Sitzgelegenheiten an den Fenstern sind vermehrt verschwunden, ein inzwischen berühmter neuer Hörsaal nummerns 5 ¾ ist aufgetaucht. Der Gang im Erdgeschoss ist offener, zügiger, der Boden ernster, grauer, härter. Auf den ersten Blick ein relativ normaler Boden. Aber ist dieser neue Boden in seinem Wesen nicht auch ein betretenes Symbol für den unaufhaltsamen Prozess der Veränderung, dem jeder Mensch im Leben unterworfen ist, und der letztendlich immer nur in eine, in jedem Fall tödliche, Richtung voranschreitet? Zwischen den nun ernsten grauen harten Fliesen fließen Fugen – Celans Todesfugen? Vermutlich nicht. Trotzdem kann es sich lohnen, darüber nachzudenken.
Ein mögliches Geo-Dreieck für die Konstruktion von etwas unkonventionelleren Winkeln, aus denen man auf das Leben, den Tod, und sowohl alte als auch neue Böden blicken kann, bietet beispielsweise ein sich seit seinem frühen Tod am Rande des Vergessenen bewegender Philosoph namens Philipp Mainländer. Im Zentrum seiner Philosophie und seines Lebens steht der Tod, das Ende, der Zerfall, die Vergänglichkeit. Vanitas. Alles Dasein ist für Mainländer dem Verfall und Zerfall unterworfen, aber nicht dem Zufall: Jeder Aspekt der Existenz befindet sich auf einer stetigen Wanderung auf dem Weg zum Gipfel des Berges der Nichtexistenz.
Die Entstehung der Welt ist bei Mainländer die Folge des Suizids Gottes, und so ist der Zerfall der Welt und aller ihrer Bewohnerinnen und Bewohner nicht aufzuhalten. Alles entsteht nur mit dem Ziel, nicht mehr zu sein. Jedes Lebewesen, jeder Geiwi-Turm, jeder Geiwi-Student und natürlich auch jeder (Geiwi- sowie Nicht-Geiwi-)Fußboden schreit in seinem Sein nach dem Nichtsein. Jede Geburt ist gleichzeitig ein Sterbefall, der erste Schrei des Säuglings beinhaltet das letzte Röcheln des Greises. Jeder neue Boden ist gleichzeitig ein zertrümmerter. Jede Veränderung an und in allem ist entweder Ausdruck des Nicht-Sein-Wollens aller Seienden, oder verzweifelter Verdrängungsversuch desselben. Philipp Mainländers letzter Akt – sein Suizid am Tag nach Erscheinen seines letzten Buches – fällt unter ersteres. Der neue Boden der Geiwi scheint hingegen beides zu sein: sowohl Verdrängung der Vergänglichkeit als auch Symbol derselben. Der alte Boden, die alte Geiwi ist tot, das Zeichen dieses Todes liegt uns zu Füßen. Aber ist das schon alles?
“Leben heißt Boden verlieren” schreibt passenderweise Emile Cioran, Autor von sowohl zum Schmökern als auch zum Selbstmord einladenden Büchern wie “Vom Nachteil, geboren zu werden”. Bedeutet Sterben dann im Gegenzug nicht, an Boden zu gewinnen? Auf den (und in den) immer neuen Boden der letzten, unvermeidbaren, und jedes Leben vollendenden Tatsache zurückgeholt zu werden? Die unausweichliche, harte, und definitiv nicht ungraue Realität des Todes zu betreten, in ihr aufzugehen – und damit auszugehen? Andererseits: wenn Leben Boden verlieren heißt – ist der Verlust des alten Geiwi-Bodens nicht doch auch Ausdruck des Lebens?
Letztendlich gibt der Tod zwar die Semesteranzahl des Bachelorstudiums unserer Existenz vor, aber es steht uns allen frei, zu entscheiden, mit welchen Vorlesungen, Proseminaren, und freien Wahlfächern wir die ECTS-Punkte der Lebenserfahrung sammeln. Er ist der Rahmen des Gemäldes unserer verfügbaren Zeit, aber wie es gemalt ist entscheiden wir selbst. Er ist die ultimative Grenze – sozusagen der Boden, auf dem wir alle gehen und vergehen. Es bleibt uns nichts anderes übrig, als zu versuchen, den harten, grauen Fliesenboden des Todes als Teil des Geiwi-Turms unseres Lebens zu akzeptieren. Schritt für Schritt.
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